Natürlich war es unvermeidlich, dass die Kacke bald am Dampfen sein würde. Allerdings hatte es nichts mit mir zu tun. Ich bekam zuerst etwas davon mit, als Rusty kurz vor acht Uhr morgens an einem Trainingstag vor meiner Tür stand, was an sich schon seltsam war. Ich meine, wir würden uns in ein paar Stunden sehen.
„Musst du dir Socken leihen?“, maulte ich ihn an und ließ ihn herein.
Ich erwartete, dass er mich auch dumm anreden würde; stattdessen war es für eine ewig lange Zeit still, bis zu dem Punkt, an dem der Ärger über sein Kommen, gerade als ich meine Eier essen wollte, sich in Besorgnis verwandelte. Er sah unruhig aus, als müsste er mir etwas Schreckliches erzählen.
„Fuck, sie haben mich verkauft, oder?“, sagte ich in leblosem Ton. Gut, na dann, ich konnte damit umgehen, solange sie mich zu einem guten Team schickten und es nicht die Westküste war. Ich hatte mich an den Gedanken gewöhnt, eine lange Zeit bei den Colts zu bleiben und Avery war auch noch zu berücksichtigen.
„Es gab einen Zwischenfall; Avery ist in Ordnung, aber es ist nicht gut.“
Mein Atem stockte; ich konnte buchstäblich nicht einatmen. Wie konnte es nicht gut sein, wenn Avery in Ordnung war? „Was?“
„Die Jungs von Rush gingen letzte Nacht nach dem Spiel aus und es gab einen Kampf. Ich kenne nicht alle Einzelheiten, aber…“ Er hielt mir sein Handy hin. Ein Kampf? Avery konnte sich in einem Kampf behaupten. Niemand würde etwas mit diesem großen Mann anfangen; er war in Ordnung. Es musste ihm gut gehen. Ich nahm das Telefon und drehte den Bildschirm zu mir, aber er war schwarz. Ich sah ihn wortlos an, plötzlich nicht mehr in der Lage, mich daran zu erinnern, wie man ein iPhone bediente. Er lehnte sich herüber und tippte auf den Bildschirm und die Überschrift schrie alles, was ich wissen musste.
Eishockeystar vollzieht heldenhafte Rettung. Die Unterüberschrift ging mehr ins Detail. Avery Lester, Verteidiger des Carlisle Rush AHL Teams kommt Opfern eines homophoben Verbrechens zu Hilfe.
Meine Beine wurden zu Gummi. Nichts versicherte mir, dass es Avery gut ging und ich konnte nicht schnell genug lesen. Ich sackte auf der Lehne des Sofas zusammen und überflog die ganze Geschichte. Zwei Männer, die von einer Bar nach Hause gingen, wurden von unbekannten Angreifern in einem Hassverbrechen überfallen. Einer der Männer war mit einem Schädelbruch im Krankenhaus. Avery hatte sich um die Angreifer gekümmert, den Notruf gewählt und wurde zitiert, dass jeder, der vorbeigekommen wäre, geholfen hätte.
Aber es war ein kleiner Teil des letzten Satzes, der mich erschütterte.
Lester, einundzwanzig, identifiziert sich als schwul.
Scheiße. Diese Zeile überführte ihn. Wie hatte der Reporter das herausgefunden?
„Es wurde bereits aufgegriffen“, sagte Rusty mit Mitgefühl in seiner Stimme. „Der erste aktive geoutete Eishockeyspieler, wie sie sagen.“
„Sagt wer?“
„Jeder.“
Er musste es nicht näher ausführen. Das bedeutete, dass neben den seriösen Nachrichtenkanälen, die Avery für seinen Mut loben würden, auch diejenigen zur Stelle sein würden, die ihn in Stücke rissen. Ich wusste nicht, wie Carlisle Rush als Team waren – abgesehen davon, wie es war, gegen sie zu spielen und ihr Spiel zu verstehen; ich kannte niemanden von ihnen persönlich. War es das für Avery bei Rush? War das etwas, das seine Karriere beenden würde?
„Verdammt“, sagte ich laut.
„Wird er dich mit hinunterziehen?“, fragte Rusty ernsthaft. Ich sah ihm genau in sein Gesicht. War es das, was ihn beunruhigte? Dass Avery mich outen würde, als Teil irgendeines Inklusionsplans, den er auf den Weg bringen wollte und dass es die Colts in Mitleidenschaft ziehen würde? Ich sträubte mich vor Ärger, aber dann sah ich das Mitgefühl in Rusty und ich kannte ihn und er dachte nichts davon. Was auch immer passierte, mein Kapitän und zumindest auch Candy, würden mir Rückendeckung geben.
„Nein“, sagte ich und glaubte es auch. Ich gab Rusty das Handy zurück. Ich musste meine Gedanken ordnen und zur Hölle, ich wollte mit Avery sprechen. „Ich sehe dich beim Training“, sagte ich und er lächelte mich schief an, bevor er ging, verständnisvoll und aufmunternd.
Ich rief Avery an, sobald die Türe geschlossen war und er ging sofort ran.
„Mein Agent ist stinkwütend“, meinte er statt einer Begrüßung.
„Himmel, Avery“, war alles, was ich sagen konnte. „Geht es dir gut?“
„Ja.“
Ich wusste nicht, was ich sonst sagen konnte. Ich hatte einen Kopf voller Emotionen und Gedanken und nichts, das in Worte gefasst irgendeinen Sinn ergab. „Ich bin froh, dass es dir gut geht“, sagte ich lahm.
„Ich konnte nicht einfach vorbeigehen“, erklärte er. „Das verstehst du, oder?“
Stille.
Dann sprach er weiter und die Worte waren vorsichtig. „Ich habe die Beherrschung verloren. Ich wurde von einem Polizisten gefragt, was das Motiv der Arschlöcher war, die diese Jungs verprügelt haben; er gab ein paar fragwürdige Kommentare ab über den Mann, der ins Krankenhaus gebracht worden war und wie er für den Club angezogen war… Ich rastete aus und blaffte ihn an. Ich meine, ich war fünfzehn Zentimeter größer und schwerer als er und ich fragte ihn einfach frei heraus, ob ich das Klischee für Schwule erfüllte. Dann tönte ich herum, dass Liebe einfach Liebe ist und Scheiße, ich wurde richtig wütend. Aber es wurde auf Kamera aufgenommen, ein verdammtes Handy und ich hatte mich outen müssen, bevor es veröffentlicht wurde.“
Ich nickte und sagte dann, „In Ordnung.“ Was sollte ich sonst sagen? Avery hatte schnell reagieren müssen und Jähzorn oder nicht, zumindest hatte er die Eier, dazu zu stehen, was er war. Es folgte eine lange Pause.
„Benjy? Bist du noch dran?“
Ich bemerkte, dass ich mein Handy fest umklammerte und ich war verstummt wegen des überwältigenden Gewichts dessen, was ich sagen wollte.
„Ja, entschuldige. Du bist aber nicht verletzt, oder?“
„Aufgerissene Knöchel, nicht schlimmer als bei einem Spiel.“
„In Ordnung. Ich muss ins Stadion gehen.“ Ich wusste nicht, woher das kam. Ich wollte Avery beschimpfen, zu ihm eilen und sicherstellen, dass es ihm gut ging. Ich wollte mich festlegen, teilen, was in meinem Herzen gewachsen war; eine sanfte Liebe, die in mir war und wartete.
„Benjy? Es tut mir leid, okay?“
Er fragte nach Unterstützung, Bestätigung. „Dir muss nichts leidtun“, sagte ich. „Ich muss los. Wir reden später?“
„Später“, wiederholte er, aber er klang bedrückt und ich fühlte mich, als hätte ich einen Welpen getreten oder so. Er beendete das Gespräch und ich starrte eine Weile auf den leeren Bildschirm. Ich sollte ihn zurückrufen. Mein Herz sagte mir, dass ich ein dummer Idiot war; mein Kopf dachte vernünftig und beschloss, abzuwarten und zu sehen, was in der Presse geschehen würde und ob Avery es schaffte, das zu überstehen.
Aber meine Seele? Die nannte mich einen Feigling, und ich wusste, ich war einer.
Das Training war für mich bedrückend; Rusty beobachtete mich, Candy stieß bei jeder Gelegenheit gegen meinen Ellbogen, aber am schlimmsten war, dass der Rest des Teams tratschte wie alte Frauen am Markttag. Ich hörte so viel Scheiße von Männern, die es besser wissen sollten, dass ich, als ich das Stadion verließ, erschöpft von einem körperlichen Training, in einer seltsamen Stimmung war.
Ich schaffte es durch den Tag, las die Berichte über Avery, darüber, was er zugegeben hatte und dass er noch keine Fragen beantwortete. Ich fing sogar an, ein paar der Kommentare zu lesen, aber es hatte den Anschein, als wäre jedes bornierte Arschloch davon überzeugt, dass ein schwuler Mann nicht für ein Team spielen konnte.
Mein Telefon war still; Avery schrieb mir nicht, noch rief er mich an, aber ich kontaktierte ihn nicht, wer konnte also sagen, wer die Schuld daran trug. Er musste damit umgehen, dass seine gesamte Welt ins Wanken geriet und ich war schön sicher hier mit meinem unwissenden Team. Schlafen konnte ich nicht und ich war ruhelos und streifte umher, Gedanken darüber, was ich zu tun hatte, im Gegensatz zu dem, was ich tun sollte, wirbelten in meinem Kopf herum, bis ich zu einem ungesunden Entschluss kam.
Ich brauchte jemanden, mit dem ich reden konnte. Jemanden, dem ich die Schuld geben konnte.
Karola says
Ich freue mich über den Beginn einer neuen Serie.Habedie Harrisburg Railers verschlungen.RJ Scotts Bücher sind sehr emotional und romantisch.Ich liebe sie alle.Ich hoffe die Geschichte geht bald weiter