„Benjy?”, fragte er, warf einen Blick zurück über seine Schulter. Wahrscheinlich war er auf seinem Weg hier herein Lester begegnet und ich konnte sehen, wie sich die Räder in seinem Kopf drehten. „Was zur Hölle hat das Arschloch gemacht?”, sagte er schließlich in einer Zusammenfassung von was auch immer er dachte. Als ich nicht sofort antwortete, weil ich keine Ahnung hatte, was ich sagen sollte, drehte er sich um zum Gehen. „Ich bringe ihn um”, schnappte er.
Ich erwischte ihn gerade, als seine Hand am Türgriff war und zog ihn zurück. „Avery ist in Ordnung”, versicherte ich ihm.
Rustys Augen verengten sich argwöhnisch und ich bemerkte, dass ich Lesters Vornamen benutzt hatte, wie ich gebeten worden war. Das deutete eine Art Verbindung an, oder Freundschaft, oder so etwas.
„Avery soll diesen Scheiß auf dem Eis lassen”, spuckte Rusty aus. „Wer zur Hölle denkt er, dass er ist?”
„Ich habe es dir doch gesagt; er hat nichts gemacht.”
Irgendwie sank es beim zweiten Mal, als ich es sagte, ein, aber auch als Rusty sich entspannte, war er nicht bereit, die Dinge gut sein zu lassen. „Und warum hat er sich im Flur an mir vorbeigedrängt und warum stehst du hier, als hätte er dich wegen irgendetwas angegangen?”
Was sollte ich sagen? Sollte ich ehrlich sein und ihm erzählen, dass das, was gerade passiert war, die verwirrendste Situation gewesen war, in der ich mich jemals befunden hatte? Ich war von dem Gefühl, mich entschuldigen zu müssen, zu ängstlich und direkt zu nicht ein Wort von dem verstehen, was Avery gesagt hat, gegangen. Ich bezweifelte, dass Ehrlichkeit funktionieren würde.
„Ich habe ihn dumm angeredet”, log ich. „Er hat Scheiße zurückgeredet; mein Fehler.”
Rusty schnaubte und ging zum nächsten Urinal. „Verdammter Idiot, du solltest deinen Scheiß auch auf dem Eis lassen.“
„Ja, ja, was auch immer”, antwortete ich wahnsinnig originell und verließ den Raum, bevor Rusty eine Chance hatte, auf meine herablassende Art antworten zu können. Ich überlegte, mich wieder an den Tisch zu setzen, aber ich hatte genug von Gesellschaft; mein Bier schmeckte scheiße, ich hatte Hunger und ich wollte nach Hause.
Ich nahm meine Jacke, warf eine Verabschiedung in die Runde, akzeptierte die Sticheleien über mein frühes Gehen, hörte ein paar Witze über Größe und schaffte es zu entkommen, bevor Rusty zurück am Tisch war. Lester konnte ich gar nicht sehen. Er war nicht am Tisch, aber die Meute vor der Bar war drei Reihen breit, darum war er vermutlich irgendwo da drinnen. Ich hatte das Gefühl, dass es zwischen uns noch offene Fragen gab, oder zumindest ein nicht beendetes Gespräch. Die frische Herbstluft einer kalten Colchester Nacht traf mich wie ein Schlag mit Eis, und ich fröstelte und eilte zurück zum Stadion. Mein Auto stand dort, und ich konnte mir die Wärme meiner Wohnung schon ausmalen.
„Warte auf mich”, rief Lester von einem der Schatten nahe des Parkplatzes. Er schien zu frieren, als er in das Licht trat, seine Arme um ihn geschlungen, seine dünne Anzugjacke kein Schutz vor der Kälte.
Ich war nicht sicher, was ich sagen sollte und ich konnte ihn nicht unbedingt fragen, wo sein Mantel war. Ich entriegelte mein Auto und deutete ihm an, einzusteigen. Er widersprach nicht und ich hatte den Motor an und die Heizung wärmte das Innere sofort.
„Verfolgst du mich?”, fragte ich, eher neckend, als dass ich tatsächlich eine Antwort erwartete. Offenbar verstand er meinen Sinn für Humor nicht und schüttelte schnell den Kopf.
„Scheiße, nein, ich musste nur…” Er sah schmerzerfüllt aus und das half keinem von uns.
„Gut”, begann ich mit sorgfältiger Aufmerksamkeit auf jedem Wort, das folgte. „Wir haben uns entschuldigt: du hast mich dumm angeredet, ich dich zurück. Wir sind Eishockeyspieler; wir entschuldigen uns nicht, und um ehrlich zu sein, macht mich das ein bisschen wahnsinnig, Kumpel.”
„Du hast gesagt, ich habe einen sexy Arsch”, stieß er hervor und rieb dann seine Hände über sein Gesicht, als könnte er mich nicht ansehen. „Eishockeyspieler sagen so etwas nicht zueinander.”
Der letzte Teil davon war in seine Hände gemurmelt. Vorsichtig, langsam griff ich hinüber und zog eine Hand von seinem Gesicht.
„Möchtest du nochmal anfangen?” fragte ich.
„Ich kann nicht.”
„Das ist ein sicherer Ort, Lester.”
„Bitte nenn mich nicht so. Nenn mich Avery.”
So lief es normalerweise nicht, niemand im Eishockey wurde bei seinem Vornamen genannt, es waren immer Spitznamen oder Nachnamen. Aber er sah gebrochen aus, als hätte ihn jemand in Stücke zerschmettert und all der Kummer und die Angst waren in seinen Augen.
„Okay, Avery, rede mit mir.”
„Ich weiß nicht, ob es einen Ort gibt, der sicher ist.”
„Rede mit mir.”
„Du hast da etwas gesagt”, begann er langsam, als würde er seit dem Spiel überlegen, was er sagen sollte. „Ich meine, ich wollte dir sagen; ich meine, du siehst gut aus und so…”
Die Pause machte mich unbehaglich. Ich hatte das Gefühl, hier mit einem schwachen Kompliment verrissen zu werden. „Ich verstehe, was du sagst; es hat dir nicht gefallen, dass ich es zu weit getrieben habe. Ich habe eine Grenze des Anstands überschritten und du möchtest nicht, dass ich denke, du denkst etwas über mich, das nicht wahr ist?”, fasste ich zusammen. Verdammt, nichts von dem, was ich gerade gesagt hatte, ergab in meinem eigenen Kopf den geringsten Sinn und so wie er die Stirn runzelte, vermutete ich, dass es für ihn auch keinen Sinn ergab.
Avery schüttelte seinen Kopf, die langen Strähnen, die er nicht gestylt hatte, fielen über seine Augen. Ich kämpfte gegen den Instinkt, die Haare zur Seite zu streichen, ungeachtet dessen, wie weich sie aussahen.
„Ich habe mit Mat gesprochen”, er stockte.
„Mat wer?”, ermutigte ich ihn.
„Mathias Brouillette, er ist ein Stürmer bei den Dragons.”
„Ich weiß, wer Mathias ist”, sagte ich, als Avery wieder totenstill wurde.
„Ich habe bei der Verleihung mit ihm gesprochen, und er sagte – er deutete an – und ich war. Scheiße, gottverdammt, scheiß auf das hier.”
Er verdeckte wieder sein Gesicht.
Aber er hatte genug gesagt, damit ich ein wenig von dem verstand, worum es hier ging. Ich wusste nicht, von welcher Verleihung Avery sprach, aber ich kannte Mathias Brouillette mit seiner geschmeidigen Figur, seinem sexy französisch-kanadischen Akzent und seinem rotbraunen Haar. Er hatte vor ein paar Jahren für die Colts gespielt und war jetzt oben in der NHL mit den Dragons, dem Team, in das unsere Nachwuchsspieler kamen, wenn wir gut genug waren. Ich erinnerte mich an sein rotes Haar und seine grünen Augen und seine Liebe zum Küssen und die Tatsache, dass er mein einziger Eishockeyaufriss war und dass es nur eine Nacht angehalten hatte.
Wir hatten ziemlich viel geküsst in dieser Nacht. Es ging niemals weiter als das, aber er war einer der anderen in der Eishockeyliga, die schwul, aber nicht geoutet waren.
„Du hast mit Mat gesprochen”, ermutigte ich ihn. Ich würde nicht derjenige sein, der aussprach, worüber sie meiner Meinung nach gesprochen hatten, weil Avery aussah, als stünde er kurz davor, mit den Details herauszuplatzen. Er strich seine dunklen Haare aus seinem Gesicht und packte sie dann fest.
„Mat war betrunken, okay, und trotzdem denke ich, er wusste, dass alles in Ordnung sein würde, aber er deutete an, dass es diesen Mann gab, der… Scheiße, ich versaue das hier.”
„Sprich weiter.” Ich war zu gleichen Teilen fasziniert und ungeduldig, die ganze Geschichte zu hören.
„Ich habe von dir gesprochen, über die Art Mann, die ich mag und wie du dich immer über mich lustig gemacht hast, wann immer wir uns getroffen haben und wie sehr ich es genossen habe…” Er stockte wieder, und dieses Mal war Angst in seinem Gesicht, schnell gefolgt von Entschlossenheit. „Er hat mich bestätigt, was dich betraf.”
Die mutigen Worte hingen in der Luft und ich konnte an diesem Punkt so viele Dinge sagen. Ich konnte ihn fragen, was er meinte, ich konnte es leugnen, ich konnte ehrlich sein, ich konnte ihn bitten, mein Auto zu verlassen. Zu guter Letzt gewann die Ehrlichkeit.
„Du meinst, er hat dir gesagt, dass ich schwul bin”, sagte ich. Ich vertraute meinen Instinkten, dass dieser Mann, der noch vor wenigen Stunden versucht hatte, mich ins Eis zu prügeln, mich jetzt nicht umbringen würde, oder mich outen oder jeden einzelnen Albtraum, den ich je gehabt hatte, verwirklichen würde.
Er blinzelte mich an und ließ die angehaltene Luft in einem lauten Ausatmen heraus. „Okay”, sagte er. „Okay”, wiederholte er.
„Und?”, ich stocherte verbal, wollte eine Antwort.
„Ich auch, schwul.” Er sackte zusammen, mit diesem unsicheren Ausdruck wieder in seinem Gesicht. „Schwul”, wiederholte er, mehr ein Flüstern. „Jedes Mal, wenn wir gegen euch spielen, schicken sie mich raus, um an deiner Linie zu verteidigen und ich wollte so oft mit dir reden, seit ich mit Mat gesprochen habe.”
„Um was zu sagen?”
„Zum Teil, um dich zu fragen, wie du es machst.”
„Was mache? Versteckt bleiben? So zu tun, als würde ich mich verabreden?”
„Ja, das alles.”
„Und der andere Teil?”, sagte ich und zeigte auf mein Auto, das warm war, aber auch in einem fast leeren Parkplatz der Colchester Eishalle stand. „Denn ein Auto ist nicht der beste Ort, um sich gegenseitig das Herz auszuschütten.”
Er sah mich direkt an und seine Zungenspitze kam heraus, um seine Lippen zu befeuchten. Lust floss in mir zusammen und nur zu wissen, dass er genau hier war und dass er für meine Mannschaft spielte, ließ mich über alle möglichen Dinge nachdenken, die nackt sein beinhalteten.
„Sie erwarten mich zurück”, sagte er sofort und suchte hastig nach dem Türgriff, war aus dem Auto heraus, bevor ich ihn darum bitten konnte, mir zu erklären, was er von mir brauchte.
Ich sah ihm in meinem Rückspiegel zu, wie er wegging, fuhr dann nach Hause. Avery war nicht bereit, zu reden, nicht mehr, als ich gewillt war, wieder einen weiteren Mann zu betreuen, der nicht geoutet war. Mat war der Mann gewesen, der mir geholfen hatte, aber ich war nicht erwachsen und sesshaft wie Mat mit seinem Luke. Nein, ich war nicht dazu bereit, die Neurosen eines anderen zu bewältigen, wenn ich selbst genug hatte, mit dem ich fertig werden musste.
Heute Abend war eine beschissene Situation gewesen, und nichts wurde gelöst. Ich traute Avery zu, dass er mich outete, nur um seinen heterosexuellen Stand zu festigen. Glaubt mir, ich habe es bei anderen Teams gesehen, und kurz darauf hat sich der geoutete Mann zur Ruhe gesetzt, wurde verkauft oder etwas ähnlich Beschissenes.
Ich hoffte nur, dass Avery nicht so war.
Als ich im Bett lag, zurückdachte an das Spiel und Avery, wusste ich, dass er nichts dergleichen tun würde, denn ich hatte den Schmerz in seinen Augen gesehen.
Und die Lust.
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